Abschiedsbrief an den Alkohol
Mein lieber Freund,
sicher hast Du Dir schon Gedanken gemacht, dass Du in den letzten Tagen nichts mehr von mir gehört hast und dass wir uns auch nicht mehr getroffen haben. Überhaupt fällt es mir schwer Worte zu finden, Worte, die Dich betreffen. Was habe ich aus mir gemacht, was ist aus mir geworden, was hast du aus mir und meinem Leben gemacht!
Ich bin vor dir geflohen, etwas was ich mir nie vorstellen konnte, aber es gab keinen anderen Ausweg mehr.
Jetzt, wo ich den ersten Schreck unserer Trennung überwunden habe, will ich in Worte fassen,was ich dir sagen muss, um mich von Dir zu trennen. Ja, ich will mich von dir loslösen, ich kann nicht mehr, ich bin am Ende.
Wie konnte es nur so weit mit uns kommen? Vielleicht weil ich nichts merken wollte, vielleicht weil ich mich von Dir täuschen lassen wollte. Denn viele Jahre lang konnte ich ohne dich im Leben nicht klar kommen.
Am Anfang unseres Kennenlernens war es ja auch einfach mit Dir. Es war in unserer Anfangszeit beeindruckend, was du aus mir machen konntest, wenn ich dich getroffen habe. Du konntest mich immer verändern. Ich fand es toll, dass ich dich immer holen konnte, wenn ich dich brauchte. Du hattest immer Zeit und warst ein treuer Begleiter. Unsere Beziehung begann langsam, unsere Treffen waren auch erst selten, aber wenn wir uns trafen, dann war es oft sehr intensiv. Manchmal waren unsere Treffen so heftig, dass es dir gelang, mir die Sinne zu rauben. Die Anfangszeit unserer Beziehung war schon berauschend, aber die Betonung liegt auf „war“... geblieben ist schließlich die pure Verzweiflung.
Nun habe ich eine Entscheidung getroffen, diesmal, ohne Dich zu fragen. Ich will nicht diese zerstörerische Beziehung weiterleben, mit anderen Worten, ich will mich von Dir trennen.
Eigentlich wollte ich die Beziehung zu Dir schon lange aufgeben, aber ich hatte mich von Dir total abhängig gemacht.
Ich konnte mit ansehen, wie mich in unsere Beziehung zerstört hat, und doch konnte und wollte ich mich nicht von Dir trennen. An vielen Tagen dachte ich: morgen, ja morgen trenne ich mich, doch am nächsten Tag schaffte ich es nicht dich loszulassen. Ich weiß bis heute noch nicht genau, warum ich so an Dir festgehalten habe.
Vielleicht war es der Rausch den ich mit Dir immer wieder erleben wollte - obwohl, das stimmt ja so auch nicht: gerade in der letzten Zeit habe ich das mit dir gar nicht mehr erlebt!
Trotzdem habe ich die Hoffnung auf ein tolles rauschvolles Erlebnis mit Dir nicht aufgegeben, das war mein größter Fehler. Immer wenn du mir am Morgen gefehlt hast, ging es mir ziemlich mies. Dieses mies fühlen steigerte sich so sehr, dass ich es sogar körperlich bemerkte. Die Beziehung mit dir hat mich nicht nur seelisch krank gemacht, sondern auch noch körperlich. Du hast mir viel genommen und wolltest mich nur noch für Dich alleine haben. Ich habe mich selbst blind gemacht und habe mich zum Lügen immer wieder selbst motiviert, nur damit ich nicht vor dir los komme. Ich habe Dich und unsere Beziehung verleugnet wo ich nur konnte, weil ich mich so sehr geschämt habe.
Ich habe die Realität verdreht, weil die Wirklichkeit zu sehr weh tat. Als ich schließlich merkte das Du mir auch noch die wichtigsten Menschen in meinem Leben nehmen wolltest, denn Du wolltest mit mir ganz alleine sein, habe ich versucht ganz ohne Dich auszukommen.
Doch bald habe ich mir wieder vorgemacht, dass Du mir mehr zu bieten hast als alle anderen Menschen.
Heute weiß ich, dass ich mit dir alleine sein wollte. Aber jetzt macht es mich nachdenklich, dass ich mir immer etwas vormache wenn es um dich geht: ich will meine Abhängigkeit von Dir nicht spüren!
Da ich weder Dich noch meine Freunde verlieren wollte, begann ich mich mit Dir heimlich und nur in bestimmten Zeitabständen zu treffen. Da ich große Angst hatte, dass die anderen von unserem Treffen etwas bemerken, waren unsere Rendezvous nur ganz kurz. Und doch fiel es den anderen immer wieder auf, wenn ich Dich getroffen hatte, ich war dann ein anderer Mensch. In der letzten Zeit haben mich unsere Treffen oft so verändert, dass keiner mehr mit mir klar kam. Ich tat Dinge für die ich mich heute schäme. Klar, dass es den Anderen aufgefallen ist. Alle Erklärungen halfen nicht mehr, denn keiner wollte mir noch glauben. Unsere heimlichen Treffen klappten auch nur am Anfang, aber meine Sehnsucht nach Dir wurde immer stärker. Ich wollte Dich bald wieder täglich um mich herum haben und du warst damit natürlich sofort einverstanden. So kam es, wie es kommen musste: ich verlor all meine anderen Freunde. Ich wurde einsamer, und weil ich einsamer wurde, traf ich mich wieder öfters mit dir. Zum wiederholten Male hatten wir wieder eine ganz enge Beziehung. Ich brauchte Dich schon, wenn ich aufwachte, ich brauchte Dich den ganzen Tag über und oft auch noch in der Nacht.
Kein Weg war zu weit, um Dich zu treffen, damit Du bei mir warst, kein Preis war mir zu hoch, wenn mein Körper und meine Seele nach Dir schrieen.
Schließlich hasste ich Dich, weil du mich so abhängig gemacht hast.
Immer wieder habe ich deshalb versucht, dich loszuwerden. Ich hasse Dich, aber verlass mich nicht, dass war mein innerer Kampf.